Oder auch: "Auf der Flucht - Auf der Jagd !? Wechselwirkungen einer seltsamen Begegnung.
Da schlich ich durch den Wald. Ich war direkt an der Reviergrenze und wollte 1. Eichelhäher jagen (was man in unserem wunderschönen Bayern noch darf) und 2. die Hochsitze des Nachbarn im Blick behalten. Dann hörte ich hinter mir ein Knacken. Ich schaute mich um und sah nichs. Noch ein Knacken....
Dann konnte ich 50 Meter weiter einen etwa 25 jahre alten Mann mit schwarzer Jacke und langen Haaren den Berg hoch rennen sehen. Ich dache mir, dass der bestimmt ganz dringend muss. Das würde jetzt aber peinlich für ihn werden, wenn er die Hose runter lässt und dann mich sieht.... Aber er ließ die Hose nicht runter. Er legte sich hinter einem Baum auf den Boden. Er sah mich und erschrak überhaupt nicht. Er deutete mir leise zu sein und blieb auf dem Boden liegen. Ich konnte aber niemanden unten im Wald sehen vor dem er flüchtete? Ich ging langsam zu ihm und fragte ihn was los ist.
Und sagte mir sofort, dass er aus dem BKH abgehauen ist. Für die nicht-Bayern unter meinen Lesern: Das Bezirkskrankenhaus ist bei uns die Psychiatrie. Er erzählte mir, dass er lieber Kamillentee trinken möchte statt die Medikamente zu nehmen und dass er jetzt auf der Flucht ist und zu Freunden in einen Nachbarort will. Er fragte ob ich ihn dorthin mitnehmen kann. Ich hatte erst Angst, dass er mir an die Waffe greifen will, aber die interessierte ihn überhaupt nicht und er war absolut friedlich und nett.
In meinem Kopf fing es nun zu Arbeiten an: Was passiert wenn ich ihm sage, dass er zurück ins BKH muss? Wie ruf ich jetzt die Kollegen an ohne dass er versteht was vor sich geht. Wir waren alleine mitten im Wald. Nur um den Kollegen unseren Standort zu erklären bräuchte ich am Telefon eine ganze Minute. Ich wollte also auf alle Fälle alles vermeiden was ihn agressiv machen könnte. Eine andere Katastrophe wäre, wenn er jetzt weiter in den Wald davon rennt und wir eine große Suchaktion starten müssen....
Er machte keine Anstalten abzuhauen. Er setzte sich 10 Meter weiter unter einen Baum und begann ein Lager zu bauen. Erst als er auch noch der Meinung war, dass zu seinem Lager auch ein Feuer gehört musste ich einschreiten... Er sah es zum Glück auch gleich ein, dass er am helligten Tag kein Feuer braucht. Ich sagte ihm, dass ich einen Bekannten anrufe, der ihm "weiterhelfen" kann.
Kollege: "Polizei .... , .... guten Morgen".
Ich: "Hey, hier ist der .... (mein Spitzname), Ich hab hier jemanden im Wald getroffen. Der Meint er bräuchte ne Mitfahrgelegenheit nach.... weil er aus dem BKH abgehauen ist. Hast Du ne Mitfahrgelegenheit für ihn nach ...."?
Er verstand zum Glück nicht, dass ich die Kollegen anrufe. Eine Streife war gerade frei und wir würden nicht lange warten müssen. Bisher war noch nicht bekannt, dass jemand aus dem BKH geflüchtet ist. Ich vereinbarte mit den Kollegen einen Treffpunkt an einem Fahrradweg neben Bahngleisen und begab mich mit dem Flüchtigen bergab. Er folgte mir immer noch artig. Jetzt erklärte er mir, dass er sein Aussehen verändern muss um nicht erkannt zu werden. Dazu strich er seine langen Haare auf die andere Seite und präsentierte mir stolz das Ergebnis. Nun begann es wirklich lustig mit ihm zu werden. Er erzählte mir weiter, dass sein Chef einige Tage zuvor die Polizei gerufen hatte und die ihn in die Psychiatrie gebracht hatten. Er erzählte noch ein paar Sachen aus seinem Leben, seiner Familie und von seiner Arbeit. Er schien froh zu sein, dass er mich gefunden hatte. Er wusste natürlich auch noch nicht, dass er geradewegs in die Arme eines weiteren Polizisten gerannt ist. Es schien auch so, als würde das Treffen mit einem Jäger zu dem passen wie er sich eine Flucht durch den Wald vorstellte.
An meinem Jagdschutzmobil (ein Batmobil kann ich ja auf der Jagd nicht gebrauchen) angekommen schloss ich gleich mein Gewehr weg und machte die Türen wieder zu. Das erwies sich auch als sinnvoll, denn mein flüchtiger Patient wollte sich natürlich gleich in meinem Auto verstecken und zog erfolglos am Türgriff....
Nun fuhr er fort mit den Ausführungen wie er sich seine Flucht vorstellte und wie gut er für die kommende Flucht gerüstet ist. Um mir das zu demonstrieren sprintete er auf dem Fahrradweg auf und ab. Ich hatte mittlerweile auch keine Sorgen mehr, dass er von mir abhaut. Er erzählte mir nun auch, dass er etwas weiter ein Fahrrad zurück gelassen hat. Das hatte er auf der Flucht irgendwo "mitgenommen".
Die Zeit verging wie im Fluge bis neben mir ein Streifenwagen zum stehen kam. Die Kollegen stiegen aus und fragten wo denn der Flüchtige ist. Er saß 20 Meter weiter unter einem Baum und baute sein nächstes Lager. Er blickte kurz kritisch auf meine beiden Kollegen, ich versicherte ihm, dass das nette Leute sind und sie ihm helfen können. Er kam zu uns zum Streifenwagen und die Kollegen unterhielten sich etwas mit ihm. Und jetzt kam tatsächlich eine Fahndung nach ihm. Das BKH hatte ihn vor wenigen Minuten als flüchtig gemeldet. Er willigte ein mit den Kollegen mitzufahren. Als einer der Beiden die Rückbank frei räumte stellte er sich ungefragt an den Kofferraum, legte alle seine Sachen hinten rein, zog die Hose und Unterhose runter und legte seine Hände auf das Fahrzeug um sich durchsuchen zu lassen ... Er war wirklich ein komischer Kauz!
Um den Kollegen etwas Arbeit abzunehmen holte ich das Fahrrad auf der anderen Seite der Bahngleise, verzurrte es im Kofferraum und brachte es zur Dienststelle. Die Kollegen dort hatten mit der ganzen Geschichte natürlich genau so viel Spaß wie ich.
Weil sich jemand daran gestört hat, dass ich das oben geschilderte Erlebnis lustig fand will ich Euch hier noch kurz eine andere Geschichte erzählen. Eine Gegenteilige, bei der es nichts zum Lachen gibt. (Aber ich bleibe dabei, mein flüchtiger Patient im Wald war richtig lustig und so was passiert einem schlichtweg nicht jeden Tag).
Ich saß in der Wache meines Großstadtreviers. Ein etwa 25 jahre alter Mann begehrte Einlass. Er erzählte, dass er verfolgt wird, also haben wir ihn rein gelassen. Er litt dermaßen massiv unter Verfolgungswahn, man kann es sich kaum vorstellen. Wie in einem schlechten Film kroch er so weit es ging unter unsere Tische und Stühle und versuchte sich vor allem und jedem zu verstecken. Beim kleinsten Geräusch zuckte er zusammen und sagte unzählige Male "Lassen Sie mich bitte nicht alleine". In seinem Gesicht war nicht nur Angst, sonder auch gelegentlich Panik zu sehen.
Er gab uns bereitwillig seinen Ausweis und sagte auch, dass er sofort psychiologische Hilfe braucht.
Als wir seine Daten durch unseren Computer ließen traf uns fast der Schlag: Er hatte drei Tage zuvor einen Mord begangen und saß nun unter unserem Schreibtisch!..... Also rief ein Kollege die Mordkomission an und wir fragten ihn was vor drei Tagen passiert ist. Er sagte nur "Die haben gesagt, dass ich meine Freundin umgebracht hab... Das war ich nicht... Ich hab der das Frostschutzmittel nicht gespritzt...."
Der Mordermittler erzählte meinem Kollegen, dass der Haftrichter ihn wieder laufen lassen musste. Es ist zwar davon auszugehen, dass er seine Freundin mit Frostschutzmittel umgebracht hat, aber für die Untersuchungshaft bedarf es einem "dringenden Tatverdacht" und den konnte man ihm nicht nachweisen.
Als der RTW samt Besatzung da war begleiteten zwei Kollegen ihn in die Psychiatrie. Ich hab nie wieder etwas von ihm gehört. Aber ich werde sein angsterfülltes Gesicht niemals vergessen. Und es würde mir niemals einfallen Witze über ihn zu machen!